Fast täglich wird über medizinische Versorgungslücken im ambulanten und stationären Bereich berichtet. Zudem steht eine neue Krankenhausreform an mit dem Ziel, die Qualität und Effizienz der stationären Versorgung in Deutschland zu verbessern. Gleichzeitig soll auch die ambulante Versorgung flächendeckend gestärkt werden.
Vor diesem Hintergrund gewinnen Medizinische Versorgungszentren (MVZ) zunehmend an Bedeutung und sind zu einem äußerst wichtigen Bestandteil der aktuellen Gesundheitsversorgung geworden. Doch was genau ist ein MVZ und was macht sie so interessant?
In diesem Beitrag wollen wir uns dem Angebot Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) nähern und deren Potenzial für die künftige Gesundheitsversorgung gemeinsam beleuchten.
Medizinische Versorgungszentren (MVZ): Was sie ausmacht und wie sie funktionieren
Das Vorbild der heutigen MVZ folgt der Idee der Polikliniken, wie sie in der ehemaligen DDR etabliert waren.1 Dort arbeiteten Ärztinnen und Ärzte verschiedener Fachrichtungen in einer Großpraxis zusammen. Nach Verabschiedung des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes Ende 2003 wurden 2004 auf Grundlage von § 95 des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V) die ersten MVZ gegründet.2 Laut der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) kann die Gründung eines MVZ durch zugelassene Ärztinnen/Ärzten, Psychotherapeutinnen/Psychotherapeuten, Krankenhäuser, Erbringer nichtärztlicher Dialyseleistungen, gemeinnützige Träger, anerkannte Praxisnetze sowie Kommunen erfolgen.
“Medizinische Versorgungszentren (MVZ) sind eigenständige Leistungserbringer, in denen mehrere ambulant tätige Fachärztinnen/Fachärzte kooperativ unter einem Dach zusammenarbeiten.“3
Die Ärztinnen und Ärzte in einem MVZ können entweder als Vertragsärztin bzw. -arzt oder als Angestellte tätig sein. Die Leitung eines MVZ muss dabei jeweils in der Hand mindestens einer Ärztin/eines Arztes liegen, die/der selbst im MVZ tätig ist und in medizinischen Fragen weisungsfrei agiert. Ein MVZ kann dabei sowohl als fachübergreifende als auch als arztgruppengleiche Einrichtung betrieben werden.4
Das Ziel der Medizinischen Versorgungszentren ist es, eine patientenorientierte Versorgung aus einer Hand zu ermöglichen.5
MVZ in Deutschland: Zahlen, Daten, Fakten (KBV)
- 2022, Anzahl MVZ: 4.574
- Anzahl dort beschäftigter Ärzt:innen / Psychotherapeut:innen: mehr als 28.140
- 2023, Anzahl MVZ: Anstieg um ca. 10 Prozent
- meistvertretene Facharztgruppen: Hausärztinnen/Hausärzte, Chirurginnen/Chirurgen, Orthopädinnen/ Orthopäden, Fachärztinnen/Fachärzten Innere Medizin
- Standorte: städtische und ländliche Gebiete, überwiegend in Kernstädten, Ober- und Mittelzentren
- Träger: überwiegend Krankenhäuser, Vertragsärzt:innen, Vertragspsychotherapeut:innen
Unterschiede zwischen Gemeinschaftspraxis und MVZ
Ein MVZ zeichnet sich insbesondere durch die organisatorische Trennung von Inhaberschaft und ärztlicher Behandlungstätigkeit aus.6 Das ist der entscheidende Unterschied zu einer Gemeinschaftspraxis, in der die Praxisinhaber sowohl in der Einzelpraxis als auch in einer Berufsausübungsgemeinschaft die ärztliche Tätigkeit in der Regel persönlich ausüben. Zudem werden Gemeinschaftspraxen häufig von Ärztinnen und Ärzten derselben Fachrichtung gegründet, ein MVZ hingegen ist interdisziplinär aufgestellt.
Darüber hinaus besitzt jede/r beteiligte Arzt/Ärztin einer Gemeinschaftspraxis seine/ihre eigene Zulassung, in einem MVZ hat die Trägergesellschaft die Zulassung inne7. Die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung ist hier also nicht personengebunden, was u.a. auch die Expansion eines MVZ deutlich vereinfacht.
In einer Gemeinschaftspraxis sind die Praxisinhaber auch immer selbst ärztlich tätig, wohingegen die Ärztinnen und Ärzte in einem MVZ angestellt sind oder dort als Vertragsärzte arbeiten. Damit entfällt die Last der unternehmerischen Verantwortung.
MVZ: Vorteile für Ärztinnen und Ärzte
- mehr Entlastung: Angestellte Ärztinnen/Ärzten können sich hier vollumfänglich an der ambulanten Versorgung beteiligen, ohne das finanzielle Risiko einer eigenen Praxis einzugehen.
- mehr Zeit: In einem MVZ haben angestellte Ärzt:innen weniger administrative Aufgaben und damit mehr Zeit für die Behandlung der Patientinnen und Patienten.
- geringere Kosten: Für Vertragsärztinnen und -ärzte, die gemeinsam ein MVZ gründen, entstehen im Vergleich zur eigenen Praxis deutlich geringere Kosten für Räumlichkeiten, Geräte und Personal. Durch gezielte Kooperationen mit anderen Ärztinnen und Ärzten lassen sich zudem medizinische Schwerpunkte festlegen.
- flexibleres Arbeiten: Durch flexiblere Arbeitszeiten wird die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben einfacher. Das ist gerade für jüngere Ärzt:innen attraktiv und darüber hinaus für jene Kolleg:innen interessant, die im Alter ggf. kürzertreten möchten.
- fachlicher Austausch, kurze Wege: Nicht nur bei “schwierigen Fällen” lassen sich Informationsverluste zwischen Ärztinnen und Ärzten begrenzen, was vor allem auch den Patientinnen und Patienten zugutekommt.
- größeres Leistungsangebot: Arbeiten Ärztinnen und Ärzte verschiedener Fachrichtungen zusammen, können Patientinnen und Patienten auch von einem breiteren Leistungsspektrum profitieren.
MVZ: Vorteile für Patientinnen und Patienten
- interdisziplinäre Versorgung unter einem Dach
- kurze Wege, kürzere Wartezeiten z. B. auf Termine und Überweisungen
- mehr Transparenz: Da in einem MVZ üblicherweise Ärztinnen und Ärzte verschiedener Fachgebiete Hand in Hand arbeiten, können Informationen zu Diagnosen, Behandlungszielen, Therapien etc. im Austausch mit den einzelnen Disziplinen abgestimmt und direkt an die Patientinnen und Patienten weitergegeben werden.
- Sicherung der medizinischen Versorgung in strukturschwachen Regionen: Gerade in ländlichen Gebieten ist der Fachärztemangel besonders ausgeprägt. Die Ansiedelung eines interdisziplinären MVZ wirkt dieser Entwicklung effektiv und nachhaltig entgegen.
Sektorenübergreifende Versorgung: Krankenhäuser im Fokus
Der zunehmende Fachkräftemangel ist vor allem auch im Rahmen der stationären Versorgung in den Krankenhäusern deutlich spürbar. Damit wächst die Gefahr, dass eine flächendeckende, qualitativ hochwertige und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung zukünftig nicht mehr sichergestellt werden kann.8
Um dem entgegenzuwirken, sieht das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) die Umstrukturierung der Krankenhäuser zu (neuen) sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen vor (sogenannte “Level 1i”-Krankenhäuser).
Das KHVVG soll vor allem in strukturschwachen Regionen Deutschlands den Ausbau der sektorenübergreifenden und integrierten Gesundheitsversorgung vorantreiben – den offenbar einzigen Weg, um eine qualitätsgesicherte medizinische Grundversorgung aufrechtzuerhalten. So sollen die jeweiligen Bundesländer Krankenhäuser als sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen bestimmen können, die neben ihren stationären auch erweiterte ambulante und medizinisch-pflegerische Leistungen erbringen.
Diese engere Verzahnung von stationärem und ambulantem Sektor soll dann dazu führen, die Effizienz der Gesundheitsversorgung ressourcenschonend zu steigern – etwa durch die Gründung eines MVZ, um Leistungen aus der stationären in die ambulante Versorgung zu verlagern. So ist eine Entlastung der stationären Versorgung in den Krankenhäusern effektiv möglich, daher sind Träger von Kliniken häufig auch gleichzeitig Träger von MVZ.9
“Im Zuge der Krankenhausreform und der dort geforderten sektoralen Verknüpfung spielen MVZ als Bindeglied zwischen ambulanter und stationärer Patient:innenversorgung eine wichtige Rolle. In der vertragsärztlichen Versorgung sind MVZ etablierte Leistungserbringer und werden zunehmend auch als interessanter Arbeitsort und Arbeitgeber wahrgenommen.”
Iris Dörscheln, Organisationsentwicklung und Prokuristin bei der FAA
Fazit
Die neue Krankenhausreform stellt das deutsche Gesundheitssystem vor große Herausforderungen und bringt erhebliche Veränderungen mit sich.
Durch eine deutliche Stärkung der ambulanten Versorgung soll es zukünftig besser möglich sein, eine ganzheitliche Patientenversorgung zuverlässig zu gewährleisten. Im Rahmen der dazu erforderlichen, umfassenden Umstrukturierungen werden MVZ zunehmend an Bedeutung gewinnen.
Quellen
- https://www.deutscherhausarztservice.de/blog/medizinische-versorgungszentren-mvz-in-deutschland ↩︎
- https://www.kbv.de/html/mvz.php ↩︎
- https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/krankenversicherung/ambulante-versorgung/medizinische-versorgungszentren ↩︎
- https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/krankenversicherung/ambulante-versorgung/medizinische-versorgungszentren ↩︎
- https://www.kbv.de/html/mvz.php ↩︎
- https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/krankenversicherung/ambulante-versorgung/medizinische-versorgungszentren ↩︎
- https://aerztestellen.aerzteblatt.de/de/content/arbeiten-im-mvz#Was-MVZ ↩︎
- Vgl.: Gutachten des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung über den Entwurf des Bundesministeriums für Gesundheit zu einem Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG), S. 10 ↩︎
- Vgl.: Gutachten des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung über den Entwurf des Bundesministeriums für Gesundheit zu einem Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG), S. 13 und S. 15 ↩︎